“Die Musik bleibt in der Seele haften”, Lippische Landes-Zeitung 05. Oktober 2011

„Klangfarben – Farbklänge“: Das Hörfest ermöglicht tonale Erlebnisse in Detmold

  • Von Andreas Schwabe

    Das Hörfest Neue Musik hat einmal mehr Mauern in den Köpfen niedergerissen und Begegnungen zwischen Dur und Dissonanz ermöglicht. Vielen Besuchern eröffneten sich neue Klangwelten.

    Detmold. Am Samstag und Sonntag, den sozusagen mittigen Tagen eines viertägigen Festivals, präsentierten 95 Schüler aus fünf Schulen und der Johannes-Brahms-Musikschule, wie viel Spaß es macht, sich mit Leib und Seele mit Neuer Musik auseinander zu setzten. So riss das zweite Hörfest Neue Musik einmal mehr Mauern in den Köpfen ein, die eigentlich längst nicht mehr existieren.

    In jedem Film (Moderator Hartmut Fladt verwies auf Kubricks „Odyssee im Weltraum“), in jedem Krimi sind heute Klänge zu hören, die sich nicht mehr nach Melodie, Akkord und Rhythmus richten und auch sonst gerne die Grenzen zwischen Ton und Geräusch überschreiten. Deshalb hatten die Kids aus Horn, Lage, Lemgo, Minden und Paderborn kein Problem damit, sich dieser Musik spielend, tanzend, malend und filmend (mit Handyfilmen) zu nähern.

    Es war auch kein Wunder, dass sich zwei Schülergruppen mit „Railroad Turnbridge“ des Detmolder Komponisten Jörg-Peter Mitmann (*1962) einer Komposition für ihre Arbeit aussuchten, die sich zwar in der Tradition der Minimal Music sieht (die LZ berichtete), aber auch an Grooves anschließt, die den Kids vom Pop her längst vertraut sind. Indem sie ihren Eltern vorführten, was sie sich zu der Musik über ein halbes Jahr hin erarbeitet hatten, öffneten sie auch diesen eine Klangwelt, der diese sonst nie so bewusst begegnen.

    Atemlose Stille herrschte so zum Teil im Hangar und die Neue Musik fand den Weg in die Herzen vieler Menschen. Auch bei dem genial gewählten Abschlussstück des Festivals: „The Rothko Chapel“ für Chor und wenige Instrumente von Morton Feldman (1926-1987). In diesem Werk sang der Projektchor des Festivals so genannte Cluster (Tontrauben), die nichts mehr mit Dur und Moll zu tun hatten.

    Die Musik entwickelte trotzdem mit langsamen Bewegungen eine unmittelbare Suggestivkraft, die alle in eine „schöne“ Welt mitnahm, von der alle Kunst im Grunde
    „träumt“. „In diesem Werk waren Freiheit und Ordnung plötzlich eins. Das habe ich so noch nie gehört“, fasste ein Besucher dieses Erlebnis zusammen.

    Natürlich will die Neue Musik wie Musik von Bach oder Beethoven, auch so verstanden werden, dass die Hörer mitfühlen können, warum jetzt dieser Ton auf jenen folgt. Gute Erläuterungen helfen, dieses „Verstehen“ zu vertiefen. Hier war Elisabeth Wirtz ganz vorne.

    Indem die Musikdramaturgin des Landestheaters unter anderem ihren ganz persönlichen Zugang zu der Komposition „Night of the four Moon“ von Geroge Crumb (* 1929) erläuterte und die Musiker einige ungewöhnliche Elemente der Musik spielten, gewannen die Zuhörer am Sonntagvormittag einen guten Zugang zu dieser Musik. In seinem Stück hatte auch die Tonalität (Melodie und Rhythmus) ihre große Bedeutung. Gegen Ende der Komposition verließen alle Musiker, bis auf das Cello, den Raum und sangen ein Volkslied. Das Cello spielte dazu einen elektronisch verfremdeten Ton, der wie „Weltraummusik“ klang. Crumb macht damit hörbar: Die Welt ist nach der Landung der Menschen auf dem Mond nicht mehr so vertraut, wie vorher. Wer so eine Aussage sinnlich wahrnimmt wie von Crumb gedacht, dem bleibt sie in der Seele haften.

    Neue Musik ist gar nicht so neu
    Aufgemerkt: Hans Timm von der veranstaltenden Initiative Neue Musik. FOTO: SCHWABE
    Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich der Begriff „Neue Musik“ für Kompositionen, die die Grenzen der Dur-Moll-Tonalität überschritten. Komponisten wie Arnold Schönberg (1874-1951) setzten fort, was von Bach bis Bruckner immer wieder versucht worden war: Melodien und Akkorde zu aktualisieren und zu erweitern. Das führte zur „Emanzipation der Dissonanz“ (Schönberg), die viele Menschen, die mit Schlager, Pop, Rock und Jazz aufgewachsen sind, noch heute schwer nachvollziehen können. Es geht in der Neuen Musik nicht mehr um den Gegensatz von Dissonanz (als Metapher für Schmerz) und Konsonanz (als Metapher für Geborgenheit), sondern um das gekonnte Spiel mit Klängen aller Art. (ans)

    Lippische Landeszeitung, 5. Oktober 2011

“Brücke zwischen Musik und Malerei”, NMZ November 2011

Das zweite „Hörfest Neue Musik“ Detmold stand unter dem Motto „Klangfarben – Farbklänge“

  • Ein Artikel von Christine Longère
    Ausgabe: 11/2011 - 60. Jahrgang

    (nmz) - Farbige Scheinwerfer senden Lichtkegel in die Weite des Raums. Auf einer Leinwand strahlt die Innenansicht der achteckigen Kapelle in Houston/Texas, die vierzehn Gemälde des Malers Mark Rothko beherbergt, zur Kontemplation einladende Ruhe aus. Fast verloren wirkt das aus knapp zwei Dutzend Sängerinnen und Sängern sowie drei Instrumentalisten bestehende Ensemble in der Halle des ehemaligen Flugzeughangars. Mit Morton Feldmans „Rothko Chapel“, aufgeführt im Hangar 21 auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes am Stadtrand von Detmold, klingt das zweite „Hörfest Neue Musik“ aus.

    Vier Tage lang aufregende, Hörgewohnheiten sprengende Musik­erlebnisse. Für die im vorigen Jahr ins Leben gerufene „Initiative Neue Musik in Ostwestfalen-Lippe“ als Veranstalter Anlass zu einer stolzen Bilanz. In 13 Konzerten an 5 Veranstaltungsorten in Detmold wurden 32 Werke von 26 Komponisten aufgeführt. Beteiligt daran waren 33 professionelle Musiker und ein 23-köpfiger Projektchor, zu dem sich Musikstudenten und Laiensänger zusammenfanden. Dazu kamen 95 Schülerinnen und Schüler der Gymnasien Horn, Lage, Lemgo, Minden und Paderborn sowie der Detmolder Johannes-Brahms-Musikschule.

    „Klangfarben – Farbklänge“ lautete das Motto des Hörfestes. Dahinter stand die Absicht, durch die Fokussierung auf ein Leitthema dem Publikum Orientierung zu bieten angesichts der Vielfalt in der zeitgenössischen Kunstmusik. Der Brückenschlag zwischen den Genres Musik und Malerei weckte Verständnis für einen neuartigen, autonomen Umgang mit dem Material, für Klänge, die gelöst sind aus einengenden Systemen und Funktionalitäten. Aufmerksamkeit auf Bezüge und Entwicklungen lenkende Moderation erleichterte den Zugang.

    Die Entdeckungsreise, zu der Hans Timm, Initiator der „Initiative Neue Musik“, die Festbesucher einlud, begann im Detmolder Sommertheater mit den von zwei Klavieren und zwei Schlagzeugern ausgeführten Schichtungen und Schwingungen, die den Streifzug „durch unausdenkliche Wälder“ des Österreichers Georg Friedrich Haas einleiteten, György Ligetis von Hajdi Elzeser faszinierend am Klavier interpretierten „Regenbogen“, Jörg-Peter Mittmanns „spektral“ genannten Klangbildern nach Gedichten von Georg Trakl. Sie führte über „Couleurs“ im Brahms-Saal der Musikschule, „Hell und Dunkel“ in der Pfarrkirche Heilig Kreuz und „Flackernde Schatten“ im Foyer des Landestheaters zu den „Farben der untergehenden Sonne“ im Hangar 21.

    Als fantasiereicher, vielfältige Impulse aufgreifender Komponist, exzellenter Oboist und künstlerischer Leiter des Ensembles Horizonte trug Mittmann zur hohen Qualität des Festivals bei. Wirkungsvoll setzten die jungen Tänzerinnen und Tänzer des Gymnasiums Lemgo, die unter Anleitung von Kirsteen Mair eine Choreographie zu seinem 2006 in Bielefeld uraufgeführten Stück „Railroad Turnbridge“ erarbeitet hatten, die musikalischen Variationen über ein minimalistisches Klangbild in Bewegung um. Ein Film des amerikanischen Malers und Bildhauers Richard Serra, der immer neue perspektivische Facetten und technische Details einer Eisenbahn-Drehbrücke zeigt, lieferte Mittmann die Anregungen für die Suche nach einfachen Strukturen, die durch allmähliche Verschiebung und Überlagerung ihren Zauber entfalten.

    Die Besucher kamen und gingen, Eintritt wurde nicht erhoben. In seiner lockeren Form war das viele Menschen unterschiedlicher Altersklassen einbeziehende Fest ganz dazu angetan, die Ohren für Neue Musik zu öffnen und bei dem einen oder anderen vielleicht sogar Begeisterung zu wecken.